BUREAU OF PUBLIC SECRETS


 

 

DOPPEL-REFLEXION

Vorwort zu einer Phänomenologie des subjektiven Aspekts
der praktisch-kritischen Aktivität

 

“Wenn das Denken seinen passenden Ausdruck gefunden hat. . ., der durch eine erste Reflexion realisiert wird, folgt eine zweite Reflexion, die sich mit der Beziehung zwischen der Kommunikation und deren Autor beschäftigt.”

—Kierkegaard, Gesammeltes unwissenschafliches Postskript

 

Ouverture
Der Theoretiker als Subjekt und als Rolle
Hinterismus, oder Theoriekolonisation
Wie Man Freunde gewinnt und die Geschichte beeinfluißt
Gefühlsentwendung: Alternative zur Sublimation
Schläfer erwacht

 

Ouverture

“Früher oder später muß die S.I. sich als therapeutisch definieren.”

Internationale Situationiste Nr 8 (1963)


Jedesmal, wenn ein Individuum die Revolte wiederentdeckt, erinnert es sich seiner früheren Erfahrungen mit ihr, die alle wie eine plötzliche Erinnerung der Kindheit zu ihm zurückkehren.

Wir wissen “ob das Subjekt dem Wahnsinn erliegt, ob es die Theorie praktiziert oder sich an einem Aufstand beteiligt..., daß die zwei Pole des Alltagslebens — der Kontakt mit einer beengten und getrennten Wirklichkeit einerseits und der spektakuläre Kontakt mit der Totalität andererseits — gleichzeitig aufgehoben werden, um der Einheit des individuellen Lebens Platz zu machen” (Voyer).

Nun, der Wahnsinn hat seine Nachteile(1) und ein Aufstand ist nicht jeden Tag zu haben; doch die Praxis der Theorie ist immer möglich. Warum dann wird Theorie so wenig praktiziert.

Natürlich, einige schlecht informierte Leute hie und da wissen noch nichts darüber. Aber was ist mit jenen anderen? Was ist mit jenen, die die praktisch-kritische Aktivität — trotz all ihrer unleugbaren Schwierigkeiten — als etwas gefunden haben, das Spaß ist, fesselnd, bedeutungsvoll, berauschend, lustig — etwas immerhin dem nicht so leicht beizukommen ist —: Wie kommt es, daß sie vergessen, daß sie unmerklich vom revolutionären Projekt abweichen, bis zu dem Punkt der völligen Unterdrückung von Momenten der Verwirklichung, die sie dort gefunden hatten?

Die Unerfahrenen werden sich wundern, warum wir uns in dieser fremden Aktivität an erster Stelle engagieren. Aber für die, die wissen warum, ist das Befremdliche, daß wir es so wenig und unstet tun. Die Momente von wirklicher Begeisterung und Konsequenz kommen fast immer durch Zufall zu uns. Uns fehlt das Bewußtsein darüber, warum wir nicht getan haben, was wir nicht haben. Wie kommt es, daß wir nicht mehr revoltieren?

Marx verstand praktisch-kritische Tätigkeit als “sinnliche menschliche Aktivität”, aber er untersuchte sie nicht als solche, als subjektive Aktivität.

Die Situationisten verstanden den subjektiven Aspekt der Praxis als eine taktische Sache. (“Langeweile ist konterrevolutionär.”) Sie stellten die richtige Frage.

Es wird Zeit, diese Aktivität selbst zu betrachten. Aus was besteht sie? Was macht sie mit uns, die wir sie machen? Während die Soziologie den Menschen studiert wie er normalerweise ist — also reduziert aufs Überleben, eine Summe von Rollen, eine Summe von Banalitäten — werden wir ihn studieren, während er handelt, um all das abzuschaffen. Homo negans. “Während er die äußere Natur handelnd verändert, verändert er gleichzeitig seine eigene Natur” (Kapital).

Die Arbeiter werden theoretisch und die Praxis der Theorie wird ein Massenphänomen. Warum diese Untersuchung jetzt aufnehmen? Warum, Kameraden, wurde sie bis jetzt nicht aufgenommen?

 

Der Theoretiker als Subjekt und als Rolle

HOLMES: “Mein Verstand rebelliert gegen den Stillstand. Gib mir Probleme, gib mir Arbeit, gib mir das abwegigste Kryptograam, oder die vertrackteste Analyse, und ich bin in meiner wirklichen Atmosphäre. Ich kann dann auf künstliche Stimulation verzichten. Aber ich verabscheue die langweilige Routine der Existenz. Deswegen habe ich meinen speziellen Beruf gewählt, ihn sogar erfunden, denn ich bin der einzige auf der Welt.... Ich erringe in solchen Fällen keine Verdienste. Mein Name erscheint in keiner Zeitung. Die Arbeit selbst, das Vergnügen, ein Feld für meine speziellen Kräfte zu finden, ist mein größter Lohn. Aber du hast ja meine Arbeitsmethoden schon selbst erfahren...”

WATSON: “Ja, tatsächlich. So fasziniert war ich nie von etwas in meinem Leben. Ich habe es auch in einer kleinen Broschüre dargelegt...”

—Arthur Conan Doyle, Das Zeichen der Vier


Die Entfremdung des Proletariers besteht darin: Seine Arbeit hat Subatanz, aber keine Freiheit; sein Vergnügen hat Freiheit, aber keine Substanz. Was er mit Konsequenz tut, ist nicht das seine und was er tut, das sein ist, hat keine Konsequenzen; es steht nichts auf dem Spiel in seinem Spiel. (Daher die Anziehung all jener “gefährlichen Spiele” — Glücksspiel, Bergsteigen, die Fremdenlegion, etc.)

Genau diese soziale Schizophrenie, diese verzweifelt gefühlte Notwendigkeit, die eigene Aktion zu sehen, irgendetwas wirklich eigenes zu tun, bringt Massen von Menschen dazu, sich Handwerk oder Vandalismus zu widmen; und noch immer andere dazu, zu versuchen und die Spaltung aufzuheben, indem sie die Trennung einheitlich angreifen, indem sie kohärenten Vandalismus anwenden: Das Handwerk des Negativen.

Wie fühlt es sich an? Du weißt es schon, Leser, — oder wenigstens wußtest Du’s mal. Es ist wie wenn du ein Geheimnis teilst oder einen schönen Streich ausführst. Nur dieses Gefühl ist an den Rand des Lebens gestoßen, so daß sein Bild die Hauptbühne einnehmen kann. Sein Ende ist, vergessen zu werden.

Nun, wir wollen nicht vergessen. Eine Revolution ist der praktischste Witz über eine Gesellschaft, die ein schlechter Witz ist.

Für das Unternehmen meiner Untersuchung unterscheide ich künstlich Aspekte revolutionärer Aktivität, die untrennbar sind. Wegen der Einfachheit des Ausdrucks spreche ich von “dem Theoretiker” — dem Praktiker der Theorie —, um eine Art von Aktivität zu untersuchen, deren Modalitäten in mancher Beziehung ganz verschieden sind von denen einer Menge von Leuten, die sich an einem Tag erheben, ohne der Sache am Tag davor viele Gedanken gewidmet zu haben. Während gewisse hier untersuchte Phänomene allen Momenten radikaler, negierender Tätigkeit gemein sind, sind andere im Moment einer Massenerhebung offensichtlich überholt. Dieses Vorwort befasst sich prinzipiell mit der Situation des Revolutionärs in einer nicht-revolutionären Situation.

Die Praxis der Theorie hat ihre eigenen speziellen Befriedigungen, aber auch ihre eigenen speziellen Fallgruben, dies entspringt aus ihrer eigenen Ungleichmäßigkeit der Entwicklung, der Ungleichmäßigkeit ihrer Beziehung zur revolutionären Bewegung als Ganzes, und aus der Tatsache, daß der Theoretiker ein unterdrückter Individuum ist wie jeder andere. Die Bewegung der Geschichte ist eine ehr-furcht-bare Kraft, wenn man mit ihr verbunden ist: Du wirst trunken vor Klarheit, oder ebensoschnell trunken vor Wahn.

So wird unsere(2) Phänomenologie gleichzeitig eine Pathologie sein.

* * *

Der negative Rausch ist konzentrierte sequentielle Aktivität, die einen mehr oder weniger kontinuierlichen orgiastischen Bruch der Spektakelwirkung erzeugt. Im negativen Rausch (“Rausch” verstanden im Sinne von Drogen, als eine fast nicht zu stoppende Begeisterung) tritt eine Art “Dominoeffekt” ideologischen Aufbrechens auf; die Zerstörung einer Illusion führt dazu, andere näher zu betrachten; die Unternehmung eines praktischen Projekts regt andere an, die es korrigieren, bekräftigen oder ausweiten; eine Idee folgt der anderen so rasch hintereinander, daß der Theoretiker Überwältigt wird, besessen, wie ein Medium, das das der historischen Bewegung eigene Orakel ihr selbst wieder übermittelt; die Komplexität der Welt wird fühlbar, kristallhell; Er sieht die Punkte geschichtlicher Wahl. Während er aus der gewöhnlichen Passivität ausbricht und beginnt, sich theoretisch im schwindelerregenden Schritt der Ereignisse zu bewegen, reißt es ihn von seinen Füßen, wie die Massen im aufständischen Moment. (Ein Aufstand ist ein öffentlicher negativer Rausch.) Aber wenn jene Massen nicht auf die Explosion, die gewaltsam die alte Realität verletzt, und die “geistige Klarheit”, die sie mit sich bringt, vorbereitet sind, haben sie Gesellschaft in ihrer Krise, die sie so als eine allgemeine und nicht nur persönliche sehen können. Der radikale Theoretiker andererseits muß auf die persönliche Krise vorbereitet sein, die das radikale Begreifen und die Erhellung der allgemeinen Krise in der Gesellschaft nachziehen mögen. Entfremdungen, gegen die wir uns teilweise entwickelt haben, religiös-charakterliche Abwehren werden erneut entdeckt auf Gebieten, auf denen der Theoretiker bis jetzt verteidigungslos ist. Die Waren form erscheint wieder auf jeder neuen Ebene; die Theorie des Werts wird gesehen als eine verwertbare Theorie, und der Theoretiker als ihr Prophet. Ein revolutionäres Konzept wird seine Muse. Er ist Liebes-geschlagen. Er ist das Gegenteil des Militanten, denn er dient seiner Göttin inbrünstig. Die Situation ist zwiespältig. Die Theorie mag ihre mystifizierten Exzesse korrigieren, oder der Theoretiker mag, in seiner Verrückung, ausflippen und in einen theoretischen Narzismus sinken.

Es gibt auch den kollektiven negativen Rausch. Das Zusammentreffen kongruenter, parallel entwickelter Projekte schneidet die jedem eigenen Versteinerungen, Schwankungen und toten Enden weg, so die Anstrengungen jeder Person in eine weitere und präzisere Perspektive stellend. Ein einziges entscheidendes Treffen kann gleichzeitig ein wahres Feuerwerk aufregender subversiver Aktivitäten für Tage auslösen, eine Person oder ein Text kann als Katalysator für ein ganzes kleines Milieu wirken. Geschichtliche Beziehungen werden persönliche Beziehungen. (“Wenn du vollständig beschäftigt bist, bist du jenseits jeder Unruhe.”) Der Geschmack des verzweifelten Überlebens zieht sich in den Hintergrund zurück; jeder entdeckt einen gemeinsamen Sinn für Humor (denn wo es Widerspruch gibt, ist auch die Komik anwesend). Der Wirbel ist oft sehr ansteckend, er infiziert den gewöhnlich Nichtteilnehmenden mit einem Wunsch, jenseits eine einfache Kontakthöhe zu gehen.

Es dauert nicht. Lassen wir die unzählbaren objektiven Hindernisse beiseite, die auf dieser Art von Bemühung lasten, müssen wir feststellen, daß das, was die Kettenreaktion verursachte weniger eine “kritische Masse” als eine Masse von Kritik war, ein Zusammenstoßen von Herausforderungen. Die Funken kommen von unabhängigen Polen, die gegeneinander fechten. Wenn die Pole zueinanderkommen, werden die Anklagen in einer Gemeinsamkeit gegenseitiger Gratulationen neutralisiert, der Widerspruch auf ein Podest gestellt und vergessen, und die Gruppierung stagniert; alles was sie gemeinsam haben sind Illusionen kollektiver Partizipation und die Erinnerung an die Zeit, da sie nicht illusorisch war.

* * *

Im Gegensatz zum reinen revolutionären Anspruch ist die revolutionäre Rolle gut-fundierte Illusion. Sie ist keine Dummheit, die einfach vermieden werden kann, indem man bescheiden oder geradlinig ist, sondern ein dauernd verursachtes Produkt revolutionärer Tätigkeit, der Schatten, der die radikale Vollendung begleitet, die reaktionäre Möglichkeit, der innere oder äußere Rückstoß des Positiven.

Das Positive ist die Trägheit des Negativen. So sehen wir eine einschneidende negierende Aktion in Militantismus übergehen (Imitation des Negativen, die Praxis der Widerholung); oder eine entmystifizierte Beurteilung jemandens Möglichkeiten führte zu einer erfolgreichen Aktion, die zur Remystifikation jemandens Fähigkeiten führt (revolutionärer Größenwahn). Das Spektakel, vom Negativen aufgeschüttelt, reagiert, indem es einen neuen Gleichgewichtapunkt sucht, der das Negative als ein Moment des Positiven enthält. Die revolutionäre Rolle ist die Form, die das widerhergestellte Gleichgewicht im Individuum annimmt. Der Charakter des Revolutionärs wird objektiv wieder gestärkt durch das Spektakel seiner Opposition gegen das Spektakel. Der Bruch mit den Schleiern des falschen Bewußtseins (Ideologie, der spektakuläre Effekt) setzt das negierende Subjekt in offenen Widerspruch zu gerade der Organisation des Unbewußtseins (Charakter, Kapital) und ihrem starken Schutz (Charakterpanzer, der Staat). Die Organisation des Unbewußtseins verteidigt sich wie ein pannensicherer Schlauch: Sie benutzt genau die negierende Aktivität, um die Panne zu stopfen und zu flicken. So wie eine herrschende Klasse in einer schwachen Stellung einigen Revolutionären einen Platz in der Regierung anbieten wird, gibt der Charakter dem Subjekt eine “bessere Position”, in der er ein psychologisch begründetes Interesse erwirbt, den spektakulär-revolutionären Status Quo aufrecht zu erhalten. Das Kämpfen aus Unzufriedenheit wandelt sich in Selbstzufriedenheit, so gut gekämpft zu haben. Was Anstrengung zur persönlichen Befreiung war, kehrt als Feder auf den Hut der “Persönlichkeit” zurück. Politik bildet Charakter.

(Aber keine Entschuldigungen für Fälschung. Es wird nichts Vulgäreres geben als künftige “Theoretiker”, die, auf selbstbezichtigende, neodostojewsksche Art, die Rollenfallen beklagen, die ihnen ihre schwierige Position als Theoretiker stellt. Es geht einfach darum die objektiven Gründe zu begreifen, die die Rolle verurschen oder den Ehrgeiz stärken — um so besser ist die Rolle gefangen und um so schneller wird sie verstoßen.)

Es ist manchmal schwierig einen Pfad festzulegen zwischen dem Gebrauch der revolutinären Rolle, um seine individuellen Probleme zu lösen und dem Benutzen der Rolle des Nicht-revolutionär-Seins als Verteidigung gegen die Dialektik des täglichen Lebens. Ein Arbeiter will verständlicherweise seine Arbeit so getrennt wie möglich von seinen Bemühungen im Leben lassen. Aber der Zweifel des Revolutionärs wird jedesmal aufgebrochen wenn ihn jemand fragt “Was machst Du?”. Genau unter der Annahme, daß er kein Militanter ist, ist sein “Geschäft” nichts, was er einfach in der Halle ablegen kann, bevor er seinem Vergnügen nachgeht. Jedesmal wenn er sein Revolutionär-Sein unterdrückt, verläßt ihn etwas. Der unterdrückte Teil von ihm selbst. Es ist eine Lüge, eine Selbst-Erniedrigung, ein Betrug. Doch wenn er sich als “einen Revolutionär” bezeichnet, entsteht eine ganze Reihe neuer Probleme, auch wenn man die groben Mißverständnisse beiseite läßt, die dieses bei einem Fremden hervorrufen kann (sofortiges Ablegen als Militanten). Deswegen die besonderen Miseren von Liebesbeziehungen im Situationistischen Milieu (zusätlich zu all denen, die mit jeden anderen geteilt werden): pathetische Anstrengungen, unbedingt Liebe aus Kameradschaft oder Kameradschaft aus der Liebe zu bilden; spektakuläre Isolation als ein spezieller, seltsamer Typ von Person (dazu auch das Gruppenphänomen), der Pygmalion-Effekt (der Revolutionär findet er hat einen Liebsten, der genau das Bild — und nur das Bild — seiner Praxis ist; dessen automatische Bekräftigung all seiner Aktionen genau die Zusammenfassung all der Schwäche und Selbst-Erniedrigung ist, die er verabscheut); usw. Tatsächlich, in ihren Anstrengungen Substanz und Leidenschaft zu vereinen, leben sie im Kleinen den Zusammenstoß zwischen der Krise der alten Ordnung und den Zeichen der neuen aus, Zeichen, die notwendigerweise noch für lange Zeit fast ausschließlich negativ ausgedrückt bleiben. Die alten Randformen des getrennten isolierten Spiels — Kunst, boheme Experimentation, Buchgeschichtenliebe — werden mehr und sehr in der globalen Planifikation ausgedrückt, das Problem vereinfachend, während es neue Komplikationen auf einer anderen Ebene schafft: Dialog findet sich selbst konfrontiert mit der Tatsache, daß er sich mit der Unterdrückung der Bedinungen, die überall Dialog unterdrücken, befassen muß. Der Dialog ist revolutionär oder dauert nicht, und er beginnt dies zu wissen.

 

Hinterismus, oder Theoriekolonisation

“Schon vergißt er, ohne ihn beachtet zu haben, seinen Gedanken, weil er seiner ist. In jeder Arbeit von Geist erkennen wir unsere eigenen, zurückgewiesenen Gedanken: Sie kommen zurück zu uns mit einer gewissen verfremdeten Majestät. . . . Morgen wird ein Fremder mit meisterhaft gutem Sinn genau das sagen, was wir die ganze Zeit gedacht und gefühlt haben und wir werden gezwungen sein, beschämt unsere eigene Meinung von einem Anderen zu nehmen.”

—Emerson, “Selbst-Vertrauen”


Bei gewissen Rennen (z.B. Radsportarten) kann man eine freie Fahrt bekommen, wenn man nahe genug hinter den Vorderfahrer kommen kann — die Person vorne bricht den Wind und schafft ein Vakuum, das einen hinterher saugt. Der Hinterist ist eine Person, die eine solche Beziehung zu revolutionärer Theorie oder Theoretikern hat: egal wie viel er “vorankommt”, er folgt immer in den Fußstapfen anderer.

Die hinteristische Beziehung erhält nur im Zusammenhang mit Kreativität, mit qualitativem Inhalt Sinn (diesbezüglich mag die Analogie zum “Rennen” verletzt sein). So ist das Phänomen unter Schriftstellern bekannt, die versuchen, aus dem übermächtigen Einfluß eines Meisters auszubrechen und “ihren eigenen Stil” zu finden; und es ist auch verwikkelt in den raschen Wechsel von Musikgruppen, wo jedes Mitglied weggeht, um seine eigene Gruppe zu bilden, deren Mitglieder ihrerseits einige Jahre später weggehen um ihre eigenen Gruppen zu bilden. Und so gibt es keinen Hinterismus im linken Milieu, dem das Qualitative fehlt, und die Führer-Gefolgschaft-Beziehung, weit entfernt davon, als Problem betrachtet zu werden, wird eher angestrebt; oder wenn sie vage als Problem gespürt wird, ist von den Unteren leicht zu verlassen. (Es braucht nicht viel Selbstachtung um offene Manipulation als beleidigend zu empfinden, nicht viel Initiative, sie zurückzuweisen, nicht viel Vorstellungskraft, um ein Milieu das künstlich aufgeblähten Mangels an Intelligenz zu meiden.) Hinterismus ist die “Fortschrittskrankheit” des am weitesten vornan stehenden Sektors der revolutionären Bewegung. Je mehr die Theorie objektiv korrekt ist, desto strenger ist ihr imperialistischer Druck auf den Hinteristen.

Das Bewußtsein über menschliches Handeln ist selbst eine Art menschlicher Produktion, an der eine Menge Leute auf verschiedene Weise und mit verschiedenen Bewußtseinsgraden teilnehmen. Ausgedrückte Theorie ist nur ein Moment dieses Prozesses, ein raffiniertes Produkt praktischer Kämpfe, momentan in eine Form kristallisiertes Bewußtsein, das dabei ist, wieder zu Rohmaterial für andere Kämpfe zerbrochen zu werden. Nur in der auf dem Kopf stehenden Welt des revolutionären Spektakels scheint dieses sichtbare Moment der Theorie die Theorie selbst zu sein, und ihr augenblicklicher Sprecher ihr Erschaffer.

Die Entfremdung des Hinteristem zum Profit des Mythos der Revolution (was das Ergebnis seiner eigenen halbbewußten Aktivität ist) drückt sich auf folgende Art aus: je mehr er übernimmt, umso weniger versteht er seine eigenen Möglichkeiten völlig teilzunehmen. Der Hinterist steht in einer fremden Beziehung zu den Produkten seiner Aktivität, denn er entfremdet sich selbst im Akt der Produktion (seine Aktivität ist nicht leidenschaftlich sondern aufgelegt, sie ist nicht die Befriedigung eines Wunsches zu revoltiern, sondern ein Mittel zur Befriedigung anderer Wünsche, z.B. Anerkennung durch seinesgleiclun) oder vom Akt der Produktion (seine Teilnahme tendiert stark zum distributiven Aspekt(3) des Prozesses).

Grundsätzlich, Kohärenz ist weniger die Entwicklung seiner Theorie oder seiner Praxis als die Entwicklung ihrer Beziehung untereinder. So sehen wir den Hinteristen an einem theoretisch-praktischen Ungleichgewicht leiden, indem er sich die Theorie in keinem Verhältnis zu seinem Gebrauch von ihr aneignet oder sich in einer Praxis engagiert, die immer von anderen initiiert worden war. Sein ist die Aneignung, die immer zu spät kommt. Er ist vor Risiken geschützt. Er entdeckt nicht, er ist informiert — welche Bücher wesentlich sind, welche Rebellionen die radikalsten waren, welche Leute ideologisch sind, was die wahren Gründe für einen Bruch sind.... Woimmer er sich hinwendet, jemand war vor ihm dort, die allgemeine Theorie ist sein persönliches Spektakel. Schon so ist er im Bann der Theorie, daß er, je mehr er durch sie unfähig wird, desto mehr die Notwendigkeit fühlt, sie weiter zu verfolgen, wobei er immer erwartet, daß die magische Einsicht, die ihn letztlich “verstehen” lassen wird, was zu tun ist und wie, gerade um die Ecke ist. Er ist so stark in dieser Tretmühle, daß er, wenn er auf ein Gebiet kommt, daß noch nicht begangen worden war, annimmt, dies könne nur deswegen gewesen sein, weil es nicht “wichtig genug” gewesen wäre — als wenn da nicht Millionen subversiver ausführenswerter Projekte wären, von denen die meisten jetzt noch nicht mal entdeckt sind. Der Schein vergangener Subversion verursacht eine enge de facto Orthodoxie bezüglich dessen, was “kohärente Praxis” ausmacht.

Hinterismus ist ein dauerndes organisatorisches Problem unserer Epoche. Jemand der örtlich autonom ist mag sehr wohl Hinterist in Bezug auf die weltweite Bewegung als Ganzes sein oder ihren klarsichtigsten Theoretikern. (In letzter Analyse ist das Proletariat kollektiv Hinterist, da es für die Selbstverwaltung seiner eigenen Theorie kämpft.) Allgemein gesprochen ist das praktische Lesen eines Textes charakterisiert durch eine kritische, scheinbar fast rohe Einstellung, die immer ein Auge dafür hat, was von ihm weggerissen werden kann und sich wenig um den inneren Glanz dessen kümmert, was bleibt. Wohingegen das Gefühl: “Das ist absolut fantastischt! Da ist soviel, was ich nicht weiß! Ich muß davon noch viel mehr zu lesen haben!” die aufkeimende Theorie-Kolonisation ankündigt.

Jeder Revolutionär muß seine eigenen Fehler machen, aber es ist witzlos, solche zu wiederholen, die schon von Anderen gemacht und überwunden wurden. Das Problem ist, kontinuierlich ein Gleichgewicht zu entdecken zwischen der Übernahme von Gewissheiten und der Erforschung neuer Gebiete. Mir scheint, daß Konzeption der Aspekt ist, auf den am wenigsten verzichtet werden kann, wenn der Hinterist versucht, aus seinem Teufelskreis auszubrechen. Wenn ein Projekt einmal gewählt und begonnen ist, ist die Befragung eines Texts oder einer Person weniger mystifizierend, weil der Punkt des Kontakts enger und präziser ist.

Es ist wichtig, den Hinteristen, der in einer schwierigen Position wegen seiner Beziehung zu anderen Revolutionären ist, zu unterscheiden von jener breiten Masse der Anhänger, die es nur begeisternd finden, mit Revolutionären bekannt zu sein oder wenigstens andere Leute wissen zu lassen, daß sie es sind. Der Anhänger meint, daß er begünstigter ist als die Masse, da seine mehr oder weniger zufällige Nähe zu Revolutionären ihn wissen läßt, woher der Wind weht. Er will die radikalen Akte anderer ästhetisch wertschätzen, als bessere Spektakel als normalerweise zu haben sind. So, eben als Betrachter der Revolution, sieht er nicht ihren gesamten unebenen und widersprüchlichen Prozess, sondern nur ihre letzten sichtbaren Ergebnisse. In diesem Sinne ist er eben nicht der Betrachter der Revolution, sondern nur ihrer Rekuperation. Er kann tausend Leute in der Straße sehen, doch er kann nicht das Thema einer Million Gespräche hören: Wenn die Revolution nicht auf ansprechende, kumultative, lineare Weise fortschreitet, verkündet er, sie sei nicht mehr da(4) (und die schlimmsten der Anhänger in dieser Beziehung sind die ermüdeten Revolutionäre). Er sucht nicht diese Welt zu unterwandern, sondern eine Aussöhnung mit ihren Unterwanderern zu erreichen. Wenn seine Selbstzufriedenheit zerstört ist, beklagt er sich über die revolutionäre Bewegung auf genau die selbe Art, auf die er sich über eine kaputte Ware öder einen Politiker, der ihn verkaufte, beklagen würde, und er nimmt an, daß er seine Autonomie demonstriert, wenn er droht, seine kostenlose Stimme des Vertrauens zurückzuhalten. Der ernsthafte Hinterist wird nicht zögern, sich von seinen besten Kameraden zu trennen, wenn er keinen besseren Weg sieht, seine Autonomie zu entwickeln; während es für den Anhänger genügt, sich in einem Milieu zu finden, wo revolutionäre Absichten unmodern sind, um die seinigen ohne einen weiteren Gedanken fallen zu lassen.

 

Wie Man Freunde gewinnt und die Geschichte beeinfluißt

“ ‘Wie?’ fragst Du. Eine reichlich langwierige Unternehmung, wie ich zugebe. Und bei der Bemühung, das Material für sie auszugraben, müssen wir unseren Weg auf verschlungene und zweifelhafte Pfade hinablenken, denn so vieles hängt von Dir ab, Deiner Aufmerksamkeit, Deinem Ziel, Deinem Material, Deiner Möglichkeit, und so fort. Dennoch hoffen wir, daß die Versuche von Vorschlägen, die im Anschluß an dieses Kapitel diskutiert und illustriert werden, etwas Nützliches und Wertvolles bewirken.”

—Dale Carnegie, Wie man sein Selbstvertrauen
entwickelt und Menschen mit öffentlichen Reden beeinflußt


Der Held einer Renaissance-phantasie entdeckt (auf dem Mond, glaube ich) die Heimstatt aller verlorenen Dinge der Geschichte, aller Dinge, die verloren gingen und nie wieder gefunden wurden. Stell Dir vor, wir würden in einem einzigen riesigen Haufen gesammelt all die verlorenen situationistischen Konstruktionen sehen. Allerdings, wir müßten möglicherweise auch bis zum Mond steigen, um sie zu finden, denn, wie Swift beobachtet, “die klagenden Leidenschaften und kleinen verhungerten Ziele werden leicht geschaukelt von ihrer äußersten Geringfügigkeit . . . und Schwulst und Schwank, von Natur luftig und leicht, schweben von allen am höchsten.”

Wie oft haben wir ein versprochenes Projekt mit Enthusiasmus beginnen sehen, langweilig werden und dann fallen. Wie oft haben wir ein Projekt sich ausweiten sehen (und ein gutes Projekt tendiert fast immer dazu, sich auszuweiten) zu dem Punkt, wo es seinen Initiator beherrscht, zu dem Punkt, wo er so feststeckt in der ungeheuren Menge der selbst-auferlegten Aufgaben, daß er aufgibt und das ganze Experiment unterdrückt wie ein weggewischter KP-Millitanter nach den Dreissigern. Wie viele werden nicht mehr zurückkehren Alas.

Natürlich, es ist wahr, daß wir in den meisten dieser Fälle nicht viel vermissen: wie kann ein Theoretiker die organisatorischen Aufgaben der Massen erhellen, wenn er nicht seine eigenen anbrechenden Aufgaben organisieren kann. Nehmen wir an, jemand sei fähig, die Ükonomie zu kritisieren, wenn er nicht die Ükonomie seiner Kritik erarbeitet hat?

Wir müssen eine Morphologie des Einzelprojekts erarbeiten. Zum Beispiel: Planung —> Beginn —> Ausweitung —> Reorientieru g —> Auslichten —> Endangriff —> Realisation —> Nachwirkungen; oder vielleicht auch: Vorspiel —> Orgasmus —> Entspannung. Und wir müssen sicher auch die Kunst der Interrelation von Projekten pflegen. Trotz gelegentlichem Lippendienst an Fourier, wie oft sehen wir einen Revolutionär bewußt seine Aktivitäten variieren, zwei oder drei verschieden Typen von Projekten auswählen, zwischen denen er je nach den Modalitäten springen kann. Oder ein Projekt nach seinem erzieherischen Wert wählen, so daß er wie gewisse Musiker, entdeckt während er kommuniziert. Oder sorgfältig die optimale Zusammenarbeits/Rivalitäts-Rate mit seinen Kameraden suchen?

Wir können nicht unter den Arbeitern intervenieren, wenn wir nicht wissen, wie in unserer eigenen Arbeit zu intervenieren. Der Agitator muß agitiert werden. “Bereite Dir neue Erfolge, vielleicht kleine, aber tägliche.”

(Ja, wir können einen Kompetentismus vorhersehen, der aus der Popularisation kritischer Techniken herauswachsen wird (z.B. Die weit verbreitete Fähigkeit zu jeder Gelegenheit ein im Großen und Ganzen “korrektes” Flugblatt rauszubringen). Aber dieser vermehrte Mißbrauch wird dagegen dialektisch seine eigene qualitative Überwindung erzwingen, indem er die wackelige Basis einer Monopolisation des situationistischen Images durch eine verschwindende Minderheit untergräbt.)

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“Es ist schwer zu entscheiden ob Unentschiedenheit den Menschen mehr elend oder mehr verächtlich macht; und ob es immer schlechter ist, die falsche Entscheidung zu treffen als keine.”

—La Bruyère, Charakter


Das Alpha und Omega revolutionärer Taktik ist Entscheidung. Entscheidung ist die große Klärung: sie bringt alles zurück zum Brennpunkt. Wie ein Strahl des Sonnenscheins endlich durch den bewölkten Himmel bricht, zerstreut ein konkreter Vorschlag die Wolken, löst den Nebel der Spekulation auf. Die einfachste Methode Klugscheiße aufzustöbern, besteht darin, festzustellen, ob eines Individuums Entscheidungen zu Taten führen und seine Aktivitäten zu Entscheidungen: “Oh, Ich sehe, Du denkst X; das heißt, du wirst Y tun?” Panik! “Ähm . . . nein . . . ah, ich sagte nur . . .”

Man betrachte die Begeisterung bei der Bekehrung zu einer Religion oder einem Hobby: es ist der kurze Moment der bewußten Wahl zwischen den verschiedenen Arten der Unterwerfung unter das Gegebene. Man macht einen großen Schritt und entscheidet Christus zu dienen oder sich einem Fanclub oder einer politischen Gruppe anzuschließen. Der Rausch, dagegen, ist an den Inhalt der Wahl gebunden.

Die Warengesellschaft enthält diesen Widerspruch: sie muß diesen sehnsüchtig unterhaltenen Enthusiasmus erzeugen, sowohl um den ideologischen Markt in Schwung zu halten als auch um das psychologische Überleben seiner Konsumenten zu gewährleisten; und indem sie das tut, spielt sie mit dem Feuer: eine Entscheidung könnte zu einer anderen führen. Die meisten konsequenten Revolutionäre können ihre Entwicklung zu einem entscheidenden Moment zurückverfolgen, in dem sie zu einem kleinen aber konkreten Akt entschlossen — oder, öfter, stolperten. Oft genug zögerten sie, zweifelten an sich, dachten, das was sie taten wäre möglicherweise dumm und jedenfalls unsignifikant. Aber in der Retrospektive kann oft gesehen werden, daß diese Konversation, dieser Brief, dieses Flugblatt oder was immer einen Startpunkt markierte — Nichts war danach mehr ganau das Selbe. Tatsächlich ist die Verwirrung, die Ungeschicklichkeit fast das Mark dieses Typs von Moment: Das Erröten der revolutionären Jungfrau bei der Entdeckung, eine zu sein. Mit der Subversion kann man überall beginnen. Aber die subjektive Kraft der Handlung ist proportional zum Grad in dem die Person nicht nur eine Situation sondern auch sich selbst als einen Teil davon subvertiert. Lange Erfahrung hat gezeigt, daß für die Kritik der Ast, auf dem man sitzt, der aufregendste und oft auch der wesentliche Anfang ist. Die Praxis der Theorie beginnt zu Hause.

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“Wann kam ein Mann schon zweifelnd mit einem Gewehr in der Hand durch eine Tür.”

— Raymond Chandler


Entscheidung ist Intervention, Unterbrechung, Ziehen der Linie. Sie hat einen willkürlichen Charakter, aristokratisch, herrschend. Sie ist nötige Vermittlung, das Subjekt drängt sich auf, indem es sich sich selbst aufdrängt. Entscheidung ist aggressive Begrenzung: Eine Handlung wird möglich gemacht durch die Elimination anderer möglicher Handlungen. Sie ist die Unterbrechung eines willkürlichen begrenzenden Elements. (Die Worte “decide” (entscheiden) und “concise” (bündig) reichen beide zu einer lateinischen Wurzel zurück “cut” (schneiden).)

Das begrenzende Element kann auch Zufall sein. Es ist nur nötig, daß das Element der Zufälligkeit kalkuliert bleibt. Die Experimente der Surrealisten waren allgemein gekennzeichnet von einer zugegebenen Ergebenheit unter das Irrationale oder Unvorhersehbare — was einer Verehrung der eigenen Hilflosigkeit gleichkommt. Aus sich selbst heraus ist die Aktion des Zufalls natürlich konservativ und strebt danach alles auf einen Wechsel zwischen einer begrenzten Anzahl von Varianten oder zur Gewohnheit zu reduzieren. Wir empfehlen die Zufälligkeit nicht wegen ihrer selbst, sondern als Counter-Konditionierungsagent. Der systematische Gebrauch des Zufalls ist die “vernünftige Zerrüttung” des Verhaltens, nach dem Prinzip, daß das Ende der Konditionierung durch den geraden und engen Pfad der Konditionierung selbst erreicht wird. Allgemein, eine beherrschte Konditionierung enthüllt die versteckten herrschenden Konditionierungen.

In einer solchen omnipräsenten Unklarheit existierend, daßwir sie kaum begreifen können — wie ein Fisch beim Versuch“Wasser” zu verstehen — stellen wir eine weitere Routine vor, die willkürlich genug ist, daß wir sie sehen können und daher verändern, so wie jemand der das Rauchen aufhören will zeitweise auf Bonbonlutschen wechselt. Einen Fetisch entdeckend wenden wir ihn gegen sich selbst. Waren zu verbrennen oder zu entwenden würde für Leute, die nicht von ihnen beherrscht würden, nichts bedeuten. Aber sobald wir vom Warenspektakel wirklich betört sind, können wir den Reiz in einen Gegenreiz wenden, den Fetisch in einen Talisman. Die antimanipulative Antiästhetik der Entwendung hat keine andere Basis: Je weniger Magie ein Image besitzt, desto weniger Autorität ist da, den Beobachter zu manipuliren (im begrenzten Fall zieht die Kommunikation ihre Macht ausschließlich aus ihrer eigenen Wahrheit); je mehr Magie es besitzt, desto mehr wird die schon existierende Autorität angezogen, um die Bedingungen zu denunzieren, die eine solche Manipulation möglich machen können. Es bleibt nur noch hinzuzufügen, daß Entwendung nicht nur dazu da ist, andere zu entmystifizieren.

* * *

“Nichts erleuchtet einen Fall mehr als ihn einer anderenPerson darzulegen.”

—Sherlock Holmes


“Das leichteste ist, was Gehalt und Gediegenheit hat zu beurteilen, schwerer es zu fassen, das schwerste, was beides vereinigt, seine Darstellung hervorzubringen” so sagte Georg Hegel vor einer Weile in einem anderen Vorwort zu einer anderen Phänomenologie. Es ist gemeinhin bekannt wie nur das Hinschreiben einer Frage und der Versuch, sie zu beantworten oft einen Wust von Durcheinander durchschneiden kann. (z.B. “Was sind meine augenblicklichen Hindernisse in diesem Projekt?” “Wo stehe ich in Bezug auf diese Theorie, jene Person?” “Was ist die Rolle dieser und jener Ideologie in der Gesellschaft als Ganzes?” “Was sind die gegenwärtigen Möglichkeiten?”) Das Geheimnis liegt teils in der innerlichen Klärung, die die gezwungene Zentrierung auf ein Thema(5) mit sich bringt und teils in einer subjektiven Entmystifikation die durch die Objektivierung des Problems kommt: indem die Fakten “ausgedrückt” (objektiviert) werden, erhältst du eine Distanz, die es dir erlaubt, das Problem besser in den Griff zu bekommen (vorausgesetzt es ist was, das man überhaupt in den Griff bekommen kann). Dieser Prozess der Objektivierung ist das wesentliche Element der wirklichen subjektiven Effektivität aller Religionen, Therapien und “Selbst-Verbesserungs”-Programme (einem Priester oder Psychoanalytiker gestehen, zum Beispiel).

Die Praxis der Theorie beschäftigt sich weniger mit Siegen — Siege passen selbst auf sich auf — als mit Problemen. Es geht weniger darum, Lösungen zu finden, als die richtigen Fragen zu entdecken und sie richtig zu stellen. Sie sucht nach den Verbindungen, den Kreuzungen, den Wahlen, die “einen Unterschied machen”. Subversion will nicht verwirren, sondern die Dinge klar machen — und genau das stürzt das herrschende Spektakel in solch eine Verwirrung. Subversion scheint nur aus dem Nichts zu kommen, weil diese Welt ein Nichts ist. Im Gegensatz zur Werbung, der “Kunst die die Kunst verbirgt” ist Entwendung die Kunst, die ihre eigene Kunst enthüllt; sie erklärt, wie sie hierherkam und warum sie nicht bleiben kann.

Indem wir die wirklichen Themen definieren, erzwingen wir die radikalste Polarisation und stoßen so den Dialog auf eine höhere Ebene. Dies macht unseren “unverhältmäßigen Einfluß” aus, der unsere Feinde wild macht. Unsere Strategie ist eine Art “revolutionärer Defätismus” — wir wiegeln auf zu Geradlinigkeit und Öffentlichkeit, auch wenn sie zuallererst gegen uns angewendet werden. Unsere Methode ist, unsere eigenen Methoden zu veröffentlichen; unsere Stärke kommt von Wissen, wie wir unsere Fehler zählend machen können.

Wenn der Theoretiker Einfluß besitzt, benutzt er ihn genau dazu, das Auslöschen dieses Zustands der Dinge anzutreiben. In diesem Sinne ändert er sich selbst, seine eigene de facto Position. Er demokratisiert was immerihn wirklich von anderen Proletariern trennt (Methoden, Spezialwissen) und entmystifiziert die augenscheinlichen Trennungem (seine Fertigkeiten beweisen nicht seine staunenswerten Fähigkeiten, sondern die staunenswerten Fähigkeiten der revolutionären Bewegung dieses Zeitalters). Er würde sich wünschen, daß seine Theorien die Massen ergreifen, daß sie ein Teil werden von der den Massen eigenen Theorie. Aber noch wichtiger, er versucht es so zu machen, daß selbst die Niederlage seiner Theorie dennoch hilfreich für das Vorwärtskommen der Bewegung ist, die sie versucht und als unzureichend erkannt hat. Auch wenn seine Theorie der sozialen Praxis durchfällt, will er, daß die Art, auf die er Theorie sozial praktiziert beides ist, sowohl beispielhaft in sich selbst als auch hilfreich durch die Art, wie sie offen ans Tageslicht die Stationen des Wegs jener Theorie legt.

Zu überrunden ist süß, doch süßer noch seine eigene Überrundung anzuregen.

Die Praxis der Theorie sei die Praxis der Klarheit, jeder der beansprucht ein Revolutionär zu sein, sollte fähig sein zu definieren aus was seine Aktivität besteht, was er getan hat, was er tut, was er vorschlägt zu tun. Dies ist eine völlig minimale Grundlage, ohne die jede Diskussion über Theorie, Taktik, etc reiner verbaler Dünnschiß ist. Alles weniger ist eine Beleidigung — wir sollten niemals zu raten haben, ob jemand Scheiße quatscht, wie die Zeichen stehen, daß sie ergreifen, was sie vage vorschlagen, daß sie wollen.

Theorie ist die dauernde “wahre Geschichte” des Proletariats für sich selbst, der Zauberspruch, der die falschen Probleme austreibt um die wirklichen zu stellen. Nur, das Proletariat kann “sich selbst” nur “ausdrücken” durch den Kampf für die Mittel des Ausdrucks. Wie auch immer die subjektive Verschiedenheit einer Million bestimmter und widersprüchlicher Unglücke sein mag, die Lösung ist einheitlich und objektiv, weil die Verschiedenheit des Unglücks durch einheitliche und objektive Mittel aufrechterhalten wird. Für das Proletariat bedeutet einen “Schlußstrich zu ziehen” unter seine eigenen Bedingungen untrennbar auch Schluss zu machen mit allem und allen, die sie aufrechterhalten.

 

Gefühlsentwendung: Alternative zur Sublimation

“Und ich habe dem Wahnsinn schöne Streiche gespielt.”

—Rimbaud, Eine Zeit in der Hölle


Der Hauptfehler aller Psychoanalysen — Reichs eingeschlossen — ist, daß sie die Neurose oder den Charakter als getrenntes Problem ansehen, und dies impliziert die Idee eines möglichen “gesunden Individuums” (auch wenn nur als unrealisierbares Ideal) innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaft. Aber den Charakter in der Isolation anzugreifen ist zum Scheitern verurteilt, denn er funktioniert nicht in der Isolation. Meistenteils werden Charakterbildungen wenn sie aufgebrochen wurden, sich einfach auf etwas andere Art wieder bilden; die einzigen Alternativen sind Wahnsinn oder Tod. Charakter ist die elende Verteidigung einer Welt gegen ihr eigenes Elend. Der Ruf die Charakterpanzerungen aufzubrechen ist ein Ruf die Bedingungen aufzubrechen, gegen die wir Panzerungen errichten. Es gibt keine revolutionäre Psychoanalyse, nur einen revolutionären Gebrauch von ihr.

Seit langer Zeit ist es allgemein erkannt, daß politische Aktivität oft nur eine armselige Kompensation persönlicher Mängel ist. Doch ebenso wahr ist, daß unsere gesamte “persönliche” Aktivität nur eine armselige Kompensation revolutionärer Mängel ist. Eine Unterdrückung verstärkt die andere. Charakterliche Fixierung tendiert dazu sich als ideologische Fixierung zu reproduzieren und umgekehrt. Eine persönliche Blockierung verstärkt eine theoretische Blokkierung. Ideologie ist eine Verteidigung gegen Subjektivität und Charakter ist eine Verteidigung gegen die Praxis der Theorie.

Eine Person die versucht, jemanden oder etwas zu kritisieren, den oder das sie vorher anerkannte, zum Beispiel, wird oft die klassischen Ödipuswiderstände spüren, als ob sie dabei wäre, ihren Vater zu töten: Selbst-Zweifel, Schuldgefühle, Verzweiflung, kalte Füße in letzter Minute. Man beachte wie oft jemand, der eine vollkommen gute Kritik gemacht hat, sich verpflichtet fühlt, einen entschuldigenden Sermon anzuheften: Tut mir leid, ich tat’s nur, weil ich mußte; nun will ich es mit einem positiven Beitrag wieder gutzumachen versuchen.

GEFÜHLSENTWENDUNG: subjektive, doppelt reflektierte kritische Aktivität, das heißt bewußte Interaktion zwischen kritischer Aktivität und Gefühlsverhalten; Orientierung eines Gefühls, einer Leidenschaft auf ihr geeignetes Objekt, auf ihren bestrealisierbaren Ausdruck.

Der Begriff der Gefühlsentwendung ist unlösbar verbunden mit der Erkenntnis der subjektiven Wirkungen der Arbeit des Negativen und mit der Annahme eines spielerisch-zerstörerischen Verhaltens; dies stellt sie in völligen Gegensatz zu den klassischen Positionen der Psychoanalyse oder des Mystizismus.

Als Einfachstes, können Gefühlaverhalten und kritische Aktivität gegeneinander ausgespielt werden, das eine manipuliert zur Verstärkung des anderen, ohne daß es eine spezielle, direkte Beziehung zwischen ihnen gibt (wenigstens keine bewußte). Wegen der Verknüpftheit der Unterdrückungen, wenn ein Individuum einen Zwang, eine Fixierung oder einen Fetisch bricht, werden die beiden Pole politischer Mystifikation — Empirismus und Utopismus — gleichzeitig geschwächt und der Weg für ein praktisches Ergreifen von Ereignissen geöffnet. Der Effekt des Spektakels ist gebrochen, den Schein notwendiger Ohnmacht auflösend, oder, was auf das selbe rauskommt, den Nebel einer Myriade “möglicher” Projekte, die nie realisiert werden werden.

Reich bemerkte, daß, wenn seine Analyse zu einem sensitiven Punkt kam, der Patient möglicherweise eine Flut bis dato unterdrücktes Material anbringt, als Lockvogel, als oberflächige Ablenkung, als eine Art “Bestechung” für den Analytiker. Ich habe herausgefunden, daß man seine “Selbstanalyse” arrangieren kann, so daß die “Bestechung” an einen selbst bezahlt wird in Form zeitweilig vergroßerter Energie und geschichtlicher Klarheit. Der Charakter wird sich durchsetzen, aber man kann ihn erpressen, ihn zahlen lassen, indem man ihn auf die Folter spannt.

Andererseits können gewisse Arten kurzer subversiver Interventionen irgendwie willkürlich oder willentlich nur mit dem Ziel, sich selbst aus einem Gleis zu stoßen, ausgeführt werden.

Direkter, also auch komplexer, könnte der Inhalt eines Affekte in Beziehung gesetzt werden zum Inhalt einer kritischen Aktivität, die “Überlappung” umgewandelt werden von einem unbewußten Hindernis zu einem bewußten Bündnis.

Gefühlsentwendung beansprucht nicht, Leidenschaften zu realisieren, definitiv Frustrationen zu zerstören. Wohingegen Sublimation eine Realisierung auf einem Gebiet im Austausch für eine Nichtrealisierung auf einem anderen Gebiet ersetzt, eine Ersetzung, die durch die Unterdrückung des ursprünglichen Wunsches charakterisiert ist, erklärt Gefühlsentwendung offen seinen Ursprung als frustrierter Wunsch. Obwohl sie[?] versucht, sich zum Ursprung der Frustration zurückzukämpfen, unterscheidet er sich andererseits von dem ganzen Rachesyndrom (Fixierung aufs gehasste Objekt, das so also den ursprünglichen Wunsch aus dem Feld schlägt) durch die Tatsache, daß das Subjekt dominiert: Das spezielle Objekt der Aggression (wenn es eines gibt) wird nur als Hilfsmittel betrachtet.

Die verlorene Liebe, der Traum, der zu früh endete — jede verpasste Möglichkeit ist eine andere Sache, die fordert, historisch korrigiert zu werden. In den Worten einer Definition des poetischen Kübismus ist Gefühlsentwendung eine “bewußte, bedachte Loslösung und Neukombination von Elementen”, die Nebeneinanderstellung eines Gefühls und des revolutionären Projekts, bis hin zu dem Punkt der Überwindung eines der oder beider ursprünglichen Elemente. Die Überwindung kann einfache Negation sein — ein Exorzismus der überholten Aspekte des Gefühls oder des Projekts — oder sie kann eine mehr positive Sache gegenseitiger Vergrößerung sein. Nur in der spektakulären Perversion wird der Wunsch als etwas gesehen, das einer Person einfach “passiert”, die einseitige Präsentation eines festen Objekts an eine Person, die nur einen Wunsch nach ihm zu “haben” braucht. Der Ausdruck “einen Wunsch ergreifen” enthält das Verstehen, daß man an der Entwicklung seiner Wünsche teilhat. Jede realisierte Möglichkeit fordert, mehr realisiert zu werden. Gefühlsentwendung erzeugt eine neue Idee aus der alten, indem sie diese in historische Gemeinschaft einführt.

Nichts ist mehr vorhersehbar, als die Rekuperation unserer Techniken, zum Beispiel in Form von Sessions von Typ Encounter oder Happening, die einer “Anticharakter” Therapie mit einer “radikalen Perspektive” gewidmet sind. (Dies würde eine reinere Form der Ideologie sein, die nun in den diffuseren Formen der “radikalen Therapie” und “alternativen Kultur” gesucht wird und die die enorme Volksgunst Reichs erklärt, dessen Werke mehr oder weniger bewußt als das lange fehlende Glied auf der Suche nach einem lebbaren psychosozialen Reformismus gesehen werden.) Begnügen wir uns damit zu sagen, daß wir nicht dadurch, daß wir uns ändern, die Welt ändern werden — eine Phantasie, die ihre Wahrheit fand in der stalinistischen “Konstruktion des Sozialismus” durch die Könstruktion “sozialistischer Menschen” (nach dem prokrustischen Modell). Jeder der seine Fähigkeit besser zu funktionieren als einen revolutionären Sieg verkündet, unterstützt genau das System. Gefühlsentwendung bricht mit dem Begriff der fortwährenden Therapie. Die Repression kehrt entweder zurück — als modifizierte Ausbeutung oder modifiziertes Symptom — oder sie ging nie. Eine grundlegende Befreiung innerhalb der Warengesellschaft zu erstreben, heißt, die eigene grundlegende Übereinstimmung mit erneuter Wirksamkeit zu verkünden. Die Illusion der Permanenz oder permanente Illusion.

Alle Techniken sind erlaubt; nicht nur psychoanalytische:sie müssen nur mit einem entmystifiziertem Verständnis des Gesamten beginnen und ihre eigene Kritik enthalten. Gefühlsentwendung ist ein vorangehender und die Augen öffnender Kampf unter den Bedingungen dauernder Doppelmacht im Individuum.

 

Schläfer erwacht

Die Kräfte, die uns unterdrücken wollen, müßen uns erst verstehen — und das ist ihr Untergang. Die Unbewußtheit des Spektakels stellt es zu einem gewissen Teil zu unserer Verfügung: so, als ob wir die Städte plötzlich alle für uns hätten, wie ein Kind, das in einem Chicago-Gemälde durch die schweigenden Ruinen läuft. Wenn du einen Film, eine Werbung, ein Gebäude, eine Autostraße entwendest, entmystifizierst Du ihre scheinbare Uneinnehmbarkeit; für einen Moment beherrschtest Du es; es ist nur ein Objekt, nur Technologie. Nicht wahr, fiel Dir nicht auf, wie Du Dich mit ihm ein bißchen heimisch fühltest?

Das Bild vom Klassenkampf, das uns vom Spektakel trennt, überläßt dem Feind zu viel ohne einen Kampf, weil es uns von unserem Wesen trennt. Das Spektakel ist nicht nur das Bild unserer Entfremdung, es ist auch die entfremdete Form unserer wirklichen Wünsche. Daher seine anziehende Gewalt auf uns. Die kompensatorischen Phantasien ziehen ihre Macht aus unseren wirklichen Phantasien. Deshalb, kein Puritanismus gegenüber dem Spektakel. Es ist nicht “nur” ein Fetisch; es ist auch ein realer Fetisch, d.h. es ist wirklich magisch, es ist wirklich eine “Traumfabrik”, es nützt wirklich menschliches Abenteuer aus. Die Leidenschaft von Maldoror fängt die ambivalente Einstellung, die gegenüber dem Spektakel eingenommen wird, perfekt ein: es empfindsam und ernsthaft umarmen, während wir ihm mit liebender und gründlicher Sorgfalt die Gurgel aufschlitzen.

Wir experimentieren noch in der Dunkelheit. Die mächtigste Waffe, die die Gesellschaft besitzt, ist ihre Fähigkeit, uns davon abzuhalten, die Waffen zu entdecken, die wir schon haben — wie man sie benutzt. Wir müssen eine globale Widerstandsanalyse der Gesellschaft selbst praktizieren — nicht nur zuerst ihren Inhalt interpretierend, auch ihre Widerstände gegen die “Interpretation”. Jede subversive Aktion ist experimentell wie eine Bewegung in dem Kinderspiel: “Es wird heißer”. Indem man Geschichte macht, lernt man, sie zu verstehen, indem man gegen das System kämpft, entdeckt man seine Schwächen, wo es zurückschlägt. In der Endanalyse ist es das, wovon die ganzen “Derivate” handeln: Ist es völlig zufällig, daß die moderne Kritik des Urbanismus und des Spektakels an die “psychogeographischen” Forschungen der 50er anlehnt? Man lernt am präzisesten wie das System operiert, indem man beobachtet, wie es gegen seins präzisesten Feinde operiert.

Die revolutionäre Bewegung ist ihr eigenes Laboratorium und schafft ihre eigenen Daten. Alle Entfremdungen erscheinen in ihr in konzentrierter Form wieder. Ihre eigenen Niederlagen sind die Adern, die die reichsten Schürfstellen enthalten. Ihre erste Aufgabe ist immer, ihre eigenen Schwächen auszuweiten, die kontinuierlich vorhandan sein werden, sei es in der Form einfacher Abweichungen von den herrschenden Schwächen der Welt, die sie bekämpft, seien es neue Schwächen, die eben ihre Erfolge für sie schaffen. Das wird immer “die Voraussetzung jeder Kritik” sein. Wenn der Dialog sich bewaffnet hat, können wir unser Glück auf dem Gebiet des Positiven versuchen. Aber bis dahin ist der Erfolg einer revolutionären Gruppe entweder trivial oder gefährlich. Unsere Anweisungen von der Warenproduktion erhaltend, müssen wir lernen Organisationen zu fabrizieren mit ihren eigenen “eingebauten Veralterungen”. In der Revolution verlieren wir jeden Kampf außer den Letzten. Wir müssen darauf zielen, klar zu scheitern, jedesmal, völlig. Alles Fragmentarische hat seinen Rastplatz, seinen Platz im Spektakel. Aber die Kritik, die den großen Schlaf beenden will, kann “keinen Platz, ihren Kopf zu betten” haben.

Sei grausam mit deiner Vergangenheit und denen, die dichdort halten wollen.

KEN KNABB
1974


FUSSNOTEN

1. Die verrückte Person macht diesen Durchbruch um den Preis der Nichteinmischung. Das Individuum stellt sich selbst außerhalb der Geschichte, jenseits der Möglichkeit der Teilnahme. In unserem Wahnsinn muß Methode sein.

2. unsere: Die “Phänomenologie” ist kein von mir erscheinendes Buch. Ihre Entwicklung ist eine der globalen proletarischen Aufgaben der nächsten Dekade. Jetzt sind wir, sagen wir mal, gerade dabei zu versuchen, das Inhaltsverzeichnis zu erstellen. Ihre nächsten Entwicklungsschritte (Tiefenstudien, Sachstudien, andere Vorwörter, Kritiken dieses Vorworts) werden von . . . wem kommen?

3. “Aber ehe die Distribution Distribution der Produkte ist, ist sie (1) Distribution der Produktionsinstrumente und (2), was eine weitere Bestimmung desselben Verhältnisses ist, Distribution der Mitglieder der Gesellschaft unter die verschiedenen Arten der Produktion (Subsumtion der Individuen unter bestimmte Produktionsverhältnisse). Die Distribution der Produkte ist offenbar nur Resultat dieser Distribution, die innerhalb des Produktionsprozesses selbst einbegriffen ist und die Gliederung der Produktion bestimmt” (Marx, Grundrisse, Einleitung).

4. “In der Tat, wie lächerlich. Und doch wie reich an solchen Lächerlichkeiten ist die Geschichte! Sie wiederholen sich in allen kritischen Perioden. Und kein Wunder! Denn, mit Blick auf die Vergangenheit, wird alles als günstig angesehen, und die Nötigkeit der Änderungen und Revolutionen, die stattfanden, zugestanden; ihrer Forderung, hingegen, für die gegenwärtige Situation, wird mit allen verfügbaren Mitteln entgegengetreten. Die Gegenwart bildet eine Ausnahme aus der Regel wegen Kurzsichtigkeit und Selbstzufriedenheit” (Feuerbach, Prinzipien der Philosophie der Zukunft).

5. “Die Diskussion über diese Perspektiven führt dazu folgende Frage zu stellen: Inwieweit ist die S.I. eine politische Bewegung? . . . Die Debatte erreicht dann einen gewissen Grad an Konfusion. Um die Meinung der Konferenz deutlich aufzuzeigen schlägt Debord vor, jeder solle schriftlich einen Fragebogen beantworten, ob er meint, daß es gesellschaftliche Kräfte gibt auf die sich die S.I. stützen kann? Welche Kräfte sind das? Unter welchen Bedingungen? . . .” (Die IV. Konferenz der S.I. in London in I.S. Nr 5.)



Ken Knabb’s Double-Reflection (1974), translated into German by the Agentur für die Selbstaufhebung des Proletariats (Berlin, 1984).

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